Die Zeit vom 27.03.1987
Ein Achtzehnjähriger hat mit Computerprogrammen
großen Erfolg / Von Dirk Kurbjuweit


Er ist achtzehn Jahre alt und hat ein klares Ziel vor Augen: "In den nächsten Jahren will ich mehrfacher Millionär werden" Viele wollen das, vor allem in seinem Alter. Aber bei Marco Börries aus Lüneburg sind solche Sprüche nicht jugendliche Schwärmerei, sondern realistisch. Er ist Chef eines High-Tech-Unternehmens, und wenn der Laden weiterläuft wie bisher, werden sich die Millionen tatsächlich bald auf seinem Konto sammeln.

Umsatzmillionär ist er schon. Seine Firma Star Division produziert Software, also Programme für Computer, und setzte damit 1986 über eine Million Mark. um; das sagt Marco Börries zunächst. Später sagt er die tatsächliche Zahl, aber die dürfen wir nicht schreiben. Nur soviel: Der junge Mann hat ziemlich untertrieben. Im Januar und Februar 1987 hat Star Division den Gesamtumsatz des letzten Jahres schon erreicht.

Marco Börries trägt die Uniform seiner Generation: Jeans, Cowboystiefel, Boss-Pullover. Eine Zeitung nannte ihn Milchgesicht; das war nicht nett, aber treffend. Wer ihn näher kennenlernt, merkt schnell, daß er anders ist, als sonst Achtzehnjährige sind. Er wirkt ungewöhnlich clever und abgebrüht, als habe er Erfahrungen gemacht, die für sein Lebensalter nicht üblich sind.

Ihm selbst kommt es so vor, als habe er in den letzten drei Jahren, während des Aufbaus seiner Firma, einen Riesensprung gemacht, als habe er einige Lebensjahre überschlagen. Da liegt die Vermutung nahe, daß ihm diese Zeit einmal fehlen könnte. Von diesem Problem war schon einmal im Zusammenhang mit einem anderen jungen Deutschen die Rede, im Sommer 1985. Damals gewann Boris Becker zum ersten Mal Wimbledon.

Frank Elstner sind die Parallelen zwischen Boris und Börries wohl auch aufgefallen. Zusammen sollten sie in seiner Fernsehshow Menschen 86 auftreten. Da der Tennisstar jedoch absagte, platzte das Treffen der Senkrechtstarter. Schade, denn man kann sich gut vorstellen, wie sie da zusammen gesessen hätten, schon äußerlich mit auffallende Ähnlichkeiten: beide blond, beide groß, beide ein bißchen schlaksig, und auch Becker wurde schon Milchgesicht genannt. Im flotten Gespräch hätte Elstner weitere Parallelen offenlegen können: so jung und schon so viel Erfolg und so reich. Natürlich ist Boris viel reicher als Marco, aber auch der kann sich einen Mercedes seiner Wahl leisten. Zum Schluß hätte Frank Elstner vielleicht gesagt, daß dies doch zwei wahre Prachtbeispiele für die neue deutsche Jugend seien.

Und wirklich: Auch Marco Börries ist so, wie sich viele die junge Generation wünschen - kein bißchen technikfeindlich, ungeheuer ehrgeizig, leistungsbereit bis an den Rand der Selbstaufgabe. Eine seiner Sprüche passen vortrefflich in das Wahlprogramm konservativer Parteien: "Mit Leistung", sagt er, "kann man alles erreichen." Er selbst ist sich das beste Beispiel. Mit Fleiß und guten Ideen hat er aus dem Nichts eine atemberaubende Karriere gemacht.

Dabei kann er nicht einmal richtig programmieren. Das muß er auch nicht, dafür hat er immer seine Leute gehabt. Er selbst hat die Ideen. Nächtelang sietzt Marco Börries an seinem Schreibtisch und überlegt, wie eine erfolgreiche Software aussehen könnte. Irgendwann sagt er sich: "Das muß es sein, das wird der Renner!" Dann schreibt er alles haarklein auf, zeichnet einen richtigen Bauplan, den er seinen Programmierern gibt. Die machen dann die Programme daraus, die bislang tatsächlich immer Renner wurden. Ums Verkaufen kümmert sich der Chef dann wieder selbst. "Geschäftemachen liegt mir im Blut', sagt er.

Im Winter 1983 tippte der damals fünfzehnjährige Marco Börries recht lustlos auf seinem primitiven Heimcomputer herum. Die Spiele fand er langweilig, Faszination kam nicht auf - bis er merkte, daß man mit diesen Dingern Geld verdienen kann. Er kopierte - lega, wie er sagt - amerikansiche Software, gab Kleinanzeigen auf, verkaufte nicht schlecht und hatte am Monatsende stets dreihundert Mark übrig. Als Austauschschüler lebte er im Sommer 1984 einige Wochen in den USA, zufällig in Paolo Alto, Silicon Valley. Mit neuen Ideen kehrte er zurück, forstete Kleinanzeigen durch und fand einen Tüftler, der gegen Umsatzbeteiligung neue Software für einen Computer des Erfolgsproduzenten Schneider herstellte. Clou des Programms war, daß Schriften und Graphiken vierfarbig auf dem Bildschirm erschienen und nicht einfarbig, wie bis dahin bei Schneider üblich. Marco Börries annoncierte in einer Fachzeitschrift und verkaufte zweihundert Programme für dreißig Mark das Stück.

Er rief andere Tüftler an, die gut programmieren konnten, aber kein Händchen fürs Geschäft hatten. Der Jnguntemehmer gab immer neue Programme heraus, gründete eine Firma, die er später als Gesellschaft mit beschränkter Haftung (GmbH) eintragen ließ. Das Geschäft nahm ihn so in Anspruch, daß er immer seltener zur Schule ging. Zu Beginn der elften Klasse wechselte er endgültig von der Schulbank in den Chefsessel. "Was s ich wissen muß, lerne ich in der Praxis", heißt seine Devise.

Mit einer Anzeige auf einer vierter Seite hatte Star Division angefangen, kurz darauf wurde eine dritter Seite daraus, dann eine halbe, eine ganze, drei Seiten; heute stellt das junge Unternehmen sein Programm auf sechs Seiten vor. Die erste Anzeige kostete tausendzweihundert Mark . Seine Etern hatten Marco Börries das Geld, nach viel Überredung geliehen. Später wollte er sich Kapital bei den Banken holen, aber die hatten für einen Jüngling ohne Referenzen keinen Pfennig übrig. Ausgelacht hätten sie ihn, sagt er, und "ganz mies" behandelt. Sein erster grundsätzlicher Kommentar zur deutschen Wirtschaft lautet daher: "Für Newcomer sind die Bedingungen katastrophal" Jetzt, da seine Firma Millionenumsätze macht , verhandelt die Deutsche Bank mit ihm über Kredite.


Hauptmenue StarWriter 3.0

Sieben Räume, hundertsechzig Quadratmeter das ist das Domizil von Star Division in der Uelzener Straße in Lüneburg. Prospekte und Bedienungsanleitungen stapeln sich in den Gängen. Es herrscht Unordnung, fast Chaos. Dieses Büro war vor wenigen Monaten noch groß genug. Jetzt platzt es aus allen Nähten. Der Kauf eines Hauses mit siebenhundert Quadratmetern steht deshalb bevor. Dann können auch endlich vier neue Mitarbeiter eingestellt werden. Denn das Team, zur Zeit fünfundzwanzig Männer und Frauen, kommt mit der Arbeit nicht mehr nach. Zur Zeit wächst Star Division jeden Monat schneller.

Marco Börries genießt das Gefühl, Chef zu sein. Er hat jetzt Macht, das freut ihn, aber nur im stillen. Er weiß, daß es für seine Mitarbeiter, die alle älter sind und teilweise studiert haben, nicht leicht ist, sich einem Youngster unterzuordnen. Gutes Betriebsklima ist deshalb wichtig für ihn. Der Ton ist locker, man duzt sich. Das Team ißt jeden Mittag gemeinsam in der Büroküche, dort wird auch gekocht.

"Meine Firma soll richtig groß werden", sagt Marco Börries. Wie groß, das sagt er nicht, aber man merkt, daß er genaue Vorstellungen hat. Er hatte sich mal überlegt, den Firmensitz in eine Großstadt zu verlegen, sich aber dann doch entschieden, in Lüneburg zu bleiben. "Nixdorf ist ja auch in Paderborn geblieben", sagt er.

Er ist stolz auf das, was er geleistet hat, und er bemüht sich nicht, diesen Stolz zu verbergen. Selbstbewußtsein hat ihm noch nie gefehlt; durch seine Erfolge ist es gewachsen, schlägt manchmal in Anflüge-von Größenwahn um. Hin und wieder, das gibt er offen zu, da sagt er sich: "Ich bin der Größte." Aber er weiß, daß solche Gedanken nur schaden können und versucht deshalb, sich selbst auf den Teppich zürückzuholen.

Wenn er das mal nicht schafft, sorgen seine EItern dafür. Beide haben ihren Beruf aufgegeben und helfen dem Sohn, seine Ideen umzusetzen. Die Mutter führt die Bücher, der Vater organisiert den Geschäftsablauf. Die Familie berät alle wichtigen Entscheidungen, das letzte Wort hat der Vater, obwohl Marco der Chef ist. Er braucht den Halt der Familie. Es hat ihn deshalb "tierisch aufgeregt", daß sich Boris Becker von Trainer und Vaterfigur Günter Bosch getrennt hat. Solche Vergleiche zum Tennisstar zieht er häufig. Er sient sich in vielen Aspekten, nicht zu Unrecht, in einer ähnlichen Situation.

Natürlich beeindruckt ihn sehr, daß er jetzt ein reicher Mann ist. Mit Jugendlicher Freude erzählt er von Erster-Klasse-Flügen und Luxushotels. Er liebt Autos und hat sich als Firmenwagen den größten Mercedes gekauft. Privat wird er bald die gleiche Marke fahren. "Manchmal', sagt er, muß ich einfach den Großkotz raushängen lassen." Dann praßt er aus vollen Händen, bis er wieder merkt, daß er sich auch beim Geld Zügel anlegen muß.

Dieser ständige Widerstreit zwischen ausflippen und beherrschen zeigt die beiden Seiten seines Wesens: Er ist naiv und reif zugleich. Seit zwei Jahren führt Marco Börries nicht mehr das Leben eines Jugendlichen. Er arbeitet zwölf, dreizehn Stunden am Tag, Freizeit kennt er kaum. Zwar hat er sich jetzt vorgenommen, wieder mehr Sport zu treiben, vor allem Tennis zu spielen. Äber er macht das nur, um für seine Arbeit fit zu sein. Er will auch wieder Bücher lesen; zunächst den Karrierebericht von Chrysler-Chef Iacocca, von dem er einiges für seine Firma lernen will. In seinem letzten Urlaub war er selbst erschrocken, als er nach wenigen Tagen zu arbeiten begann. Sein Job bestimmt sein I:eben, und deshalb hat er schon die Ausstrahlung eines Managers im Dauerstreß. Seine Hände sind ständig in Bewegung, er schaut oft unruhig auf die Uhr.

Marco Börries ist kaum noch in der Lage, sich mit Gleichaltrigen zu verständigen. Erstens fehlt die Zeit, zweitens gibt es für die verschiedenen Sorgen kein Verständnis mehr. Während seine ehemaligen Schulkameraden sich über eine Preiserhöhung für die Busfahrkarte aufregen, jongliert er mit sechsstelligen Summen. Außerdem sagt Marco Börries: "Man kann niemandem trauen, außer der eigenen Familie" Das ist eine Lektion, die er im Geschäftsleben gelernt hat und die auf andere Kontakte abstrahlt.

Dies alles wirkt so, als sei Marco Börries trotz Erfolg und Geld ein armer Mensch. Er selbst sieht das anders: "Ich vermisse nichts." Er zählt zu den Menschen, denen ihr Job alles gibt was sie brauchen, jedenfalls für eine gewisse Zeit. Probleme könnte dieser junge Mann bekommen, wenn er merkt, daß das Leben weit mehr zu bieten hat als Arbeit, die Spaß macht.

Wer auf dem High-Tech-Markt groß werden will, das weiß Marco Börries, muß in den USA Erfolg haben. Den Sprung über den Atlantik bereitete er auf seine jugendlich unbekümmerte Art vor. Er setzte sich ins Flugzeug, landete in San Francisco, suchte im Telephonbuch nach Vertriebsfirmen für Software, ging hin und stellte sein Programm vor - mit Erfolg: Im Sommer werden seine Produkte in großer Stückzahl auf dem amerikanischen Markt angeboten.

Ein Ende des Booms von Star Division scheint nicht in Sicht. Unternehmensberater prophezeien für den deutschen Software-Markt bis 1990 durchschnittliche Zuwachsraten von bis zu zwanzig Prozent. Ob Marco Börries diese Chance nutzen kann, hängt davon ab, wie er das ungestüme Wachstum seines Unternehmens in den Griff bekommt. Denn für Senkrechtstarter wie ihn beginnen die Probleme, wenn der Betrieb so groß ist, daß nur noch professionelles Management zum Erfolg führen knn.

Der Amerikaner Bill Gates hat gezeigt, wie man es schaffen kann. Vom Computer-Kid stieg er zum Großunternehmer in Sachen Software auf. mit neunzehn Jahren gründete er seine Firma Microsoft, die heute, elf Jahre später, weltweit zu den Marktführern zählt. Im vergangenen Geschäftsjahr machte Microsoft vierzig Millionen Dollar Gewinn bei zweihundert Millionen Dollar Umsatz. Bill Gates ist heute mehrfacher Millionär...

(c) 1987 by Die Zeit

Zur Computerauswahl